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Martin Dörmann
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Frage von Sabine H. •

Frage an Martin Dörmann von Sabine H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dörmann,

ich wohne in Ihrem Wahlkreis und habe folgende Fragen an Sie:

Sind aus Sicht Ihrer Partei Abschiebungen in Krisengebiete wie Afghanistan, Irak, Kosovo und Togo vertretbar?
Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, Familientrennungen durch Abschiebungen rechtlich zu unterbinden?

Was werden Sie tun, um die Situation von Menschen ohne Papiere und ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland zu verbessern?
Wie bewerten Sie die Ergebnisse von Legalisierungen in anderen europäischen Ländern, z.B. Spanien, und halten Sie diese Maßnahmen für übertragbar?

Was wollen Sie tun, um die Situation langjährig Geduldeter, also Menschen ohne sichere Aufenthaltsperspektive, zu verbessern?

Was wollen Sie tun, damit Deutschland und die EU ihrer Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen gerecht werden?
Wie steht Ihre Partei zu den Bestrebungen, den Flüchtlingsschutz durch die Einführung EU-weiter Drittstaatenregelungen und die Einrichtung von "Asyllagern" außerhalb der EU auszulagern?

Mit freundlichen Grüßen
Sabine Heinz

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Heinz,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte. Bitte entschuldigen Sie, dass die Beantwortung aufgrund der zahlreichen aktuellen Anfragen - nicht nur über dieses Forum - einige Tage gedauert hat.

Die *Rückführung von Flüchtlingen* ist meines Erachtens legitim, wenn sie in ihren Heimatländern wieder sicher und eigenverantwortlich leben können.

Immer wieder plädieren wir SPD-Abgeordneten für möglichst humane Lösungen, vor allem in schwierigen Ländern wie Afghanistan, Kosovo, Togo oder Irak. Deshalb haben wir uns im Bundestag in dieser Legislaturperiode für die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes eingesetzt. Einiges haben wir erreicht: Mit dem Gesetz sind wir unseren humanitären Verpflichtungen nachgekommen, indem wir Kettenduldungen abgeschafft haben und Opfer von nicht-staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Flüchtlinge anerkannt haben. Die Härtefallklausel gibt die Möglichkeit, schwierigen Einzelfällen aus humanitären Gründen gerecht zu werden. Politisch Verfolgte werden geschützt. Mit dem Gesetz sollen Asylverfahren beschleunigt, Asylmissbrauch verhindert und die Ausreisepflicht durchgesetzt werden. Natürlich können wir im Bundestag die Verfahren der Ausländerämter nur begleiten und nicht direkt beeinflussen. Erste Auswertungen haben auch gezeigt, dass bei der praktischen Umsetzung des Gesetzes durch die Bundesländer nicht immer der Absicht des Gesetzgebers entsprochen wird und Ermessungsspielräume zu Ungunsten der Flüchtlinge ausgelegt werden. Hier gilt es also, im Einzelfall nachzuhaken.

Was die Frage der* Familientrennungen durch Abschiebung* angeht, so stellen bereits jetzt bestimmte Familienbeziehungen ein Abschiebungshindernis dar (z.B. Eltern - minderjährige Kinder). Darüber hinaus sollte im Einzelfall eine sachgerechte Berücksichtung der familiären Lebensgemeinschaft gewährleistet sein, so dass nicht schematische Entscheidungen über deren Schutzwürdigkeit zu unverhältnismäßigen Eingriffen in das Familienleben führen (z.B. Eltern - volljährige Kinder). Wie in jüngeren Fällen leider geschehen, ist es aber nicht hinnehmbar, wenn während eines stationären Behandlung eines Elternteils die restliche Familie abgeschoben wird, um den Druck auf den noch verbliebenen Elternteil, ebenfalls auszureisen, zu erhöhen. Diese Vorgehensweise ist hinsichtlich der Gewährleistungen von Artikel 6 GG sowie Artikel 8 EMRK äußerst fragwürdig, wird von Seiten der SPD-Bundestagsfraktion kritisiert, ist angesichts der Kompetenzzuweisung der Gesetzesausführung jedoch nicht auf Bundesebene sondern auf Länderebene zu lösen.

*Menschen ohne Papiere und ohne Aufenthaltsstatus* sollten nach meiner festen Überzeugung die Möglichkeit haben, eine umfassende Gesundheitsversorgung oder den Schulbesuch in Anspruch nehmen zu können. Dazu gehört auch, dass wir uns in der SPD-Bundestagsfraktion dafür einsetzen, die Handlungen humanitärer Helfer von dem strafrechtlichen Unwerturteil zu lösen. Als Unterstützung i.S.d. Beihilfe sollten nicht solche Handlungen bewertet werden, deren Ziel die humanitäre Unterstützung der betroffenen Personen ist, insbesondere Hilfeleistungen von Apothekern, Ärzten, Seelsorgern, Lehrern, Sozialarbeitern, Richtern oder Rechtsanwälten im Rahmen ihrer berufsspezifischen Aufgaben.

Die Auswirkungen von *Legalisierungen auf die wirtschafts- und sozialpolitischen Gegebenheiten in einem Mitgliedstaat der EU*, jüngst geschehen in Spanien, sind meines Erachtens nicht allgemein festlegbar sondern auf den jeweiligen mitgliedsstaatlichen Kontext bezogen. Im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland wäre dies zunächst gründlich zu prüfen, aber langfristig nicht ausgeschlossen.

*Menschen, die seit langem in der Bundesrepublik geduldet werden,* sollten aufgrund ihres erreichten Integrationsgrades einen Daueraufenthalt ermöglicht bekommen. Grundsätzlich sind insofern neben einem mehrjährigen Voraufenthalt (z.B. über 5 Jahre) die Sicherung des Lebensunterhalts, vorhandener ausreichender Wohnraum und das Nichtvorliegen von Ausweisungsgründen wichtige Kriterien. Die Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel stellt sich in diesem Zusammenhang leicht als Achillesferse dar. Daher sollte man prüfen, inwieweit durch eine die Möglichkeiten des Antragstellers auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigende Ausnahmeregelung ein sachgerechter Ausgleich geschaffen werden kann (z.B. Nachweis eines Arbeitsplatzangebotes ausreichend, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bisher an der Ablehnung einer Arbeitsagentur scheiterte).

Was den Umgang mit dem Status der Geduldeten allgemein anbelangt, stellt für mich die Frage, ob nicht zunächst eine Statuserstarkung hin zu einem Aufenthaltstitel zu bedenken wäre. Im Hinblick auf den Eintritt in ein Berufsleben ist es meiner Meinung nach insbesondere bei Kindern und Jugendlichen wichtig, die Frage des Aufenthaltstitels zu klären, der sodann den Zugang zum Arbeitsmarkt mit sich bringt.

*Im Rahmen der europäischen Integration geht es auch im Bereich der Asylpolitik vorwärts*. Die Harmonisierung des Asyl- und Flüchtlingsrechts ist in den letzten Jahren eine großen Schritt vorangekommen, trotz der unterschiedlichen Auffassungen der 25 EU-Mitgliedstaaten. Denn mit der Eröffnung der Grenzen im Rahmen des Schengen-Verfahrens ist mehr als je Zusammenarbeit gefordert. Ziel ist eine gemeinsame Asylpolitik auf EU-Ebene. Dabei geht es nicht darum, eine "Festung Europa" zu bauen, sondern gemeinsame Lösungen zu finden, damit die Flüchtlinge nicht über unterschiedliche Status in den EU-Staaten verfügen. Zurzeit werden zum Beispiel Mindestnormen für Asylverfahren kontrovers diskutiert. Der Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten dient dazu, die Bedingungen für die Eingliederung von Flüchtlingen und Einwanderern zu verbessern.

Darüber hinaus ist Deutschland im Rahmen des internationalen Flüchtlingsschutzes völkerrechtlich verpflichtet sicherzustellen, dass Schutzbedürftige auch tatsächlich Zugang zu entsprechenden Prüfungsverfahren im Staat, in dem der Schutzantrag gestellt wurde, erhalten. *Dies ist im Hinblick auf die Bewertung der sog. "Asyllager" in Nordafrika für uns vorrangig von Bedeutung.*

Hinsichtlich einer europaweiten Drittstaatenregelung verweise ich auf den Beschluss des Innenausschusses des Europäischen Parlaments vom 22.6.05, in dem das Konzept der so genannten "supersicheren Drittstaaten" im Rahmen der Asylverfahrensrichtlinie kritisch bewertet wurde. Auch der UNHCR hat Bedenken geäußert, ob der jetzige Entwurf der Richtlinie mit internationalem Flüchtlingsrecht vereinbar sei. Maßgeblich für eine Drittstaatenregelung ist unseres Erachtens, dass Flüchtlinge nicht ohne individuelle Prüfung ihres Falles abgewiesen werden.

Ich hoffe sehr, dass ich Ihre Fragen zufriedenstellend beantworten konnte.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Dörmann, MdB