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Frage von René C. •

Frage an Ulrich Kelber von René C. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Kelber,

ich möchte mich erkundigen, welche Position Sie zur "neuen" Vorratsdatenspeicherung einnehmen und wie Sie sich in der vermutlich schon sehr bald bevorstehenden Abstimmung im Deutschen Bundestag verhalten werden.

Mit freundlichen Grüßen
René Costa

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Costa,

vielen Dank für Ihre Anfrage zur Vorratsdatenspeicherung. Es mit der Beantwortung diesmal ein wenig länger gedauert, weil ich zunächst den tatsächlichen Gesetzentwurf und die Abstimmung in meiner Partei auf dem Konvent am 20. Juni abwarten wollte, bevor ich alle Anfragen und Briefe dazu beantworte.

Vorab: Auf dem SPD-Konvent am 20.6.2015 habe ich für den konkreten Gesetzentwurf zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung (VDS) bzw. Höchstspeicherfristen gestimmt und werde dies auch im September im Bundestag tun. Aus meiner Sicht hält der Gesetzentwurf sowohl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als auch des Europäischen Gerichtshofs ein.

Ich habe 2007 als stellvertretender Fraktionsvorsitzender - anders als die überwiegende Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion - in der Großen Koalition gegen den damaligen Gesetzentwurf zur VDS gestimmt, weil ich ihn für verfassungswidrig gehalten habe. Das Verfassungsgericht hat meine Auffassung bestätigt, als es eine VDS für möglich, den konkreten Gesetzentwurf aber für verfassungswidrig erklärte.

Auf dem SPD-Bundesparteitag 2011 habe ich - damals noch als Mitglied des SPD-Bundesvorstands - mit einer Minderheit der Delegierten gegen einen Antrag gestimmt, in Deutschland eine VDS nach den Maßgaben der Richtlinie der EU einzuführen, weil ich die Maßgaben der EU-Richtlinie für grundrechtswidrig gehalten habe. Der Europäische Gerichtshof hat meine Auffassung bestätigt, als er eine VDS für möglich, die konkrete Richtlinie aber als grundrechtswidrig erklärte.

Dem SPD-Wahlprogramm 2013 (entschieden auf dem SPD-Bundesparteitag im April 2013) und dem Koalitionsvertrag (SPD-Mitgliederentscheid Ende 2013), die beide die Einführung einer VDS enthalten, habe ich als politische Gesamtpakete zugestimmt. Bei der Abfassung des Textes des Koalitionsvertrags war übrigens klar, dass die VDS nicht nur als Pflichterfüllung für die EU-Richtlinie beschlossen wurde, sondern als eigenständiges politisches Projekt. Der Textabschnitt zur EU-Richtlinie war dabei nur ein Hinweis, wie die Ausgestaltung erfolgen sollte.

Auch in meiner Rolle als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz (Heiko Maas) habe ich meine Meinung, dass eine VDS nach den Vorgaben der EU-Richtlinie falsch wäre und dass insgesamt der Nutzen einer VDS zur Aufklärung/Prävention schwerster Straftaten oft überschätzt wird, weiterhin auch öffentlich vertreten. Dabei habe ich aber nie zu denen gehört, die abgestritten haben, dass es Fälle gab und gibt, in denen Telekommunikations- und Standortdaten die einzigen oder die entscheidenden Ansätze für eine Ermittlung sind/waren. Und dass es heute vom Zufallsprinzip abhängt, ob diese zur Verfügung stehen, weil manche Telekommunikationsanbieter diese Daten nur für Stunden, andere dagegen für Monate speichern.

Als Parlamentarischer Staatssekretär habe ich Heiko Maas bei den Verhandlungen mit dem Bundesinnenminister politisch unterstützt. Das Ergebnis ist ein Gesetzentwurf für eine VDS und für Höchstspeicherfristen, das mit den Wünschen der innenpolitischen Hardliner nichts mehr zu tun hat. Es ist ein Gesetzentwurf, der die Vorgaben von Verfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof vollumfänglich einhält. Dieser Gesetzentwurf stellt tatsächlich eine akzeptable Abwägung aus Sicherheit und Freiheit dar. Heiko Maas hat hervorragend verhandelt, dies wird ihm von Datenschützern wie Thilo Weichert bescheinigt.

Da ich diesen Gesetzentwurf für eindeutig verfassungs- und grundrechtskonform halte, da ich mir von den Monitoringvorgaben endlich Fakten für die Debatte über Umfang der Datennutzung und des Wertes für Ermittlungen erhoffe, da ich sicher bin, dass wir mit dieser sehr begrenzten VDS einen Standard für die Debatte in der EU gegen die ausufernden Regelungen in anderen Staaten setzen und weil ich selbst im Justizministerium an dem erfolgreichen Verhandlungsprozess politisch beteiligt war, stimme ich diesen Gesetzentwurf zu.

Diese Eckpunkte der neuen Regelung zur VDS halte ich für den entscheidenden Fortschritt gegenüber früheren Vorschlägen:

• Es werden weniger Daten als in früheren Vorschlägen gespeichert, insbesondere keine Speicherung von Daten des eMail-Verkehrs
• Begrenzung der Speicherung von Verkehrsdaten auf zehn Wochen, von Standortdaten auf vier Wochen
• Einblick in die Daten nur mit Genehmigung eines Richters. Verwendung nur in Strafverfahren, die wegen besonders schwerer Straftaten geführt werden
• Betroffene müssen vorab informiert werden und können Widerspruch einlegen. Nur auf Entscheid eines Richters kann von dieser Vorabinformation abgesehen werden, um Ermittlungen nicht zu gefährden
• Mehrere Standortdaten („Bewegungsprofil“) dürfen nur zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten (z.B. Serienmord) oder zur Entlastung eines Beschuldigten verwendet werden
• Die Daten müssen in Deutschland gespeichert und besonders gesichert werden
• Die Daten müssen nach dem Stand der Technik so verschlüsselt werden, dass nur zwei Personen gemeinsam darauf zugreifen können
• Datenzugang nur für die eng gesetzlich geregelten Fälle, z.B. auch kein Zugang für die deutschen Geheimdienste
• Speicherung und Verwendung der Daten werden protokolliert und sind damit überprüfbar, Verstöße gegen die Vorschriften zur Datennutzung werden bestraft
• Die Nutzung der Daten wird statistisch ausgewertet, damit stehen zukünftig erstmals belastbare Daten für die "Glaubensfrage" über den Wert/Umfang einer VDS zur Verfügung
• Mit den gegenüber den Regelungen in Frankreich, Großbritannien und anderen EU-Mitgliedsstaaten stark einschränkenden Vorgaben für Speicherung und Verwendung der Daten wird ein neuer Standard gesetzt für die Debatte über eine neue europäische VDS-Richtlinie

Ich weiß, dass auch diese Argument nicht alle überzeugen werden. Für die Haltung, dass der Staat, selbst der demokratische und liberale Rechtsstaat, keinerlei Datenspeicherung auf Vorrat ohne konkreten Verdacht vornehmen darf, habe ich höchsten Respekt. Ich bin für mich, nach den oben geschilderten Abwägungen, zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Mit freundlichem Gruß
Ulrich Kelber

P.S.

Ich bitte alle Gegner einer VDS aber auch um Engagement in einer anderen Frage: Aus meiner Sicht ist die Datensammlung und fortlaufende Profilbildung durch private Konzerne im Internet die eigentliche Gefährdung unserer Freiheit. Die private Datenspeicherung und -verarbeitung entbehrt heute selbst im demokratischen Rechtsstaat oft jeglicher Kontrolle, außerdem werden alle gespeicherten Daten aller BürgerInnen rund um die Uhr ausgewertet. Aus gläsernen Kunden/NutzerInnen werden schnell gläserne BürgerInnen, wenn nicht nur Konsum, sondern Kommunikation und Information von den Konzernen durch die Informationen aus den Profilen gesteuert werden.

Hören Sie bitte aufmerksam zu und widersprechen Sie lautstark, wenn Wirtschaftsvertreter (wie zuletzt der Präsident der BITKOM) und PolitikerInnen (wie zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel) davon sprechen, dass der Einwilligungsvorbehalt der Datenerhebung, die Zweckbindung der erhobenen Daten und Datensparsamkeit nicht mehr die richtigen Konzepte für das 21. Jahrhundert seien. Das Gegenteil ist der Fall, sie sind die unbedingte Voraussetzung für die Datensouveränität der BürgerInnen im digitalen Zeitalter!